O Traurigkeit, o Herzeleid
von Siegfried Gerdau
Herborn (s). Mit einem Konzert, das unter die Haut ging, beschritt die Herborner Kantorei unter der Leitung von Kantorin Regina Zimmermann-Emde am Karfreitagnachmittag in der evangelischen Stadtkirche neue Wege.
Gelungene Aufführung: Der gute Ruf der Herborner Kantorei zog am Freitagnachmittag viele Menschen trotz des schönen Spazierwetters in die Stadtkirche. Jens Michel hatte den Solopart mit seinem Englischhorn übernommen. (Fotos: Gerdau)
Die Aufführung stand unter dem Motto "O Traurig, o Herzeleid".
Im Wechsel mit dem Chor und von der Orgel begleitet, sangen Mona Debus (Sopran) und Andreas Balzer (Bass) "Via Crucis" von Franz Liszt sowie Stücke von Josef Rheinberger und Sigfrid Karg-Elert. Jens Michel hatte den Solopart mit seinem Englischhorn übernommen.
Passend zum Titel eröffnete Zimmermann-Emde mit dem Choralvorspiel und der Fuge über "O Traurigkeit, o Herzeleid" auf der Orgel, um damit zu dem Weg des Kreuzes, der "Via Crucis", überzuleiten.
Sehr getragen war die Einleitung, die ein musikalisches Bild der traditionellen Kreuzwegandachten vermittelte. Liszts Komposition war ein Novum in der Musikliteratur. Er bezog alte Stile (gregorianischen und protestantischen Choral) ein, mischte sie mit wenigen Noten und kreierte einen ganz eigenen Stil, der in seiner Kargheit in der Spätromantik durchaus avantgardistisch war. Von seinen Zeitgenossen (1811 bis 1886) wurde das Werk wenig verstanden, von den Besuchern des Konzerts am Freitag dafür umso mehr. Die Hälfte der 14 Stationen war als reine Orgelmusik komponiert und wurde von der Kantorin gewohnt virtuos umgesetzt. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit schafften es Chor und Solisten immer wieder miteinander zu verschmelzen, um dann, ohne Übergangsverluste, wieder eigene Wege zu gehen.
Was immer wieder beeindruckt, ist die Professionalität, mit der das Ensemble die Auftritte gestaltet. Man darf jedoch nie vergessen, dass alle Sänger Laien sind, die sich in ihrer Freizeit mit Leidenschaft und Herzblut der Chormusik hingeben.
Wunderbar auch der Part von Andreas Balzer bei der Josef Rheinberger-Passage "Sehet, welche Liebe". Souverän und mit überragender stimmlicher Sicherheit faszinierte der Dillenburger Bass-Sänger das Publikum. Atemberaubend waren auch die Gegensätze in den Stimmlagen: Auf der einen Seite der Mann mit der Grabesstimme, auf der anderen der engelsgleiche Sopran von Mona Debus.
Wenn bei einem solchen Konzert an diesem für die christliche Welt besonderen Tag Fleißnoten zu verteilen wären, dann hätte Jens Michel sicher auch einige verdient. Seinem Englischhorn, das zu der Familie der Oboen-Instrumente gehört, entlockte er Tonfolgen, die in ihrer Klarheit die Gesangs-und Orgelvorträge perfekt einrahmten.