Gitarren und Trommeln statt Orgel
Weder die Musiker noch das zwar kleine, aber sehr aufmerksame Publikum hatten sich am vergangenen Sonntag vom chaotische Schneewetter und den beinah unpassierbaren Straßen davon abhalten lassen, in die festlich erleuchtete Herborner Stadtkirche zu kommen: Das traditionelle Weihnachts- konzert der Herborner Kantorei fand trotz aller Widrigkeiten statt. Wer sich auf den Weg gemacht hatte, wurde dafür mit unbekannter, spannender Musik belohnt - mit einem interessanten Programm, das Kantorin Regina Zimmermann-Emde zusammengestellt und einstudiert hatte.
Im Mittelpunkt dieses außergewöhnlichen Konzerts standen zwei Chorwerke des in diesem Jahr verstorbenen argentinischen Komponisten Ariél Ramírez, der sich als Pianist und Komponist vor allem für die indianische und kreolische Volksmusik seines Heimatlandes interessierte. Sein bekanntestes Werk ist die „Misa Criolla", mit der das Konzertprogramme eröffnet wurde. Dabei handelt es sich um ein tiefes, religiöses Werk, das das Leben preist und die Verbindung der Menschen zu Gott, ihrem Schöpfer, deutlich macht, schrieb der Komponist.
Unterstützt von einigen Musikern und Solisten
präsentierte die Herborner Kantorei ein etwas anderes
Weihnachtskonzert mit Stücken argentinischer
Komponisten (Foto: privat)
Eine unkonventionell besetzte „Combo" begleitete die Herborner Kantorei und die beiden Solistinnen Mona Debus und Janine Grove: Das mit einer Reihe spannender Instrumente von der Bass Drum über die Snare Drum bis hin zu den Bar Chimes besetzte Schlagzeug bediente Werner Gössl. Dazu kam das Cembalo, gespielt von Harald Schmidt, der Kontrabass (Wilfried Hahn) und die Gitarre (Michael Simon).
Aus dem ruhigen und getragenen Beginn des Kyrie, aus der flehentlichen Anrufung Gottes, entwickelte sich der rhythmisch pulsierende große Lobgesang des Gloria im Rhythmus des argentinischen „Carnavalito". Mit Temperament und Lebendigkeit konzertierte die ausgezeichnet besetzte Herborner Kantorei hier mit den beiden Solistinnen und den Instrumenten.
Es folgte das Credo, der dritte und umfangreichste Satz der Misa, spannend in seiner Bewegung und den sich beständig überlagernden rhythmischen Akzenten. Das heitere, fröhliche Sanctus erklang im schwingenden bolivianischen Rhythmus „Carnaval cochabambino"; das nun folgende Agnus Dei im „Estilo pampeano", dem Stil der Pampas, knüpfte wieder an die Ruhe des Kyries an und schloss so den musikalischen Bogen der Misa.
Für den nächsten Teil des Konzert wechselte nun die Szene vom Argentinien unserer Zeit ins England des 16. / 17. Jahrhunderts: Michael Simon und Max Richter spielten für Gitarren bearbeitete Lauten-Duos von John Dowland und Thomas Robinson: leise, filigrane und belebte Klänge, die den Kirchenraum durchdrangen und die Aufmerksamkeit des Publikum ganz gefangen nahmen.
Die Kantorei beantwortete den Ausflug auf die Britischen Inseln mit dem schwungvoll vorgetragenen irischen Weihnachtslied „Angelus ad virginem", das von der Verkündigung des Engels Gabriel an Maria erzählt.
Zurück nach Südamerika führte das dreiteilige Gitarren-Duo „Tango, Milonga y Final" des zeitgenössischen argentinischen Komponisten Máximo Diego Pujol. Mit diesem Werk eröffneten Michael Simon und Max Richter die Bühne für das argentinische „Weihnachtsoratorium" „Navidad nuestra" (Unser Weihnachten) von Ariel Ramírez: Kantorei, Instrumente und Solistinnen erzählten in Liedern die Episoden der Weihnachtsgeschichte, die vom Dichter Felix Luna in den südamerikanischen Kulturraum übertragen wurden. In weihnachtlicher Fröhlichkeit begegnete der Engel Maria. Im Himmel berichtete er, er habe die Königin der Welt gesehen, das schönste Mägdelein. Dann hörte man, wie Maria und Josef ihren langen beschwerlichen Weg durch die eisige Pampa gehen: Wo findet Maria Unterschlupf für „el Niño", ihr Kind? Von der Geburt des Kindes schließlich sang Mona Debus mit ihrem klaren, lyrischen Sopran, begleitet von der Kantorei, in dem ruhigen Satz „El Nacimiendo". Dann erschienen die aufgeregten Hirten („Los Pastores") mit Pferden und einem Muli, um kleine Käselaibe und heilende Kräuter zum Kind zu bringen. Die drei Könige kamen an und beschenkten das Neugeborene mit einem weißen Poncho. Den Schluss des Navidad-Zyklus bildete schließlich „La Huida", die Flucht nach Ägypten: „Vamos, vamos. Burrito, apura" - (Lass uns gehen, lass uns gehen, Eselchen, beeil´ dich). Verzweiflung, aber auch Hoffnung auf ein besseres Land sprachen aus diesem vom Chor und den Solistinnen mit großer Spannung interpretierten Satz.
Mit begeistertem Applaus dankte das Publikum den Künstlern, den Sängern, den Instrumentalisten und der Herborner Kantorin Regina Zimmermann-Emde. Ohne eine Zugabe wollte man sich nach diesem schönen Konzert nicht in die schneereiche Nacht verabschieden lassen: Deshalb sang die Kantorei noch einmal von den „Reyes magos" - den Drei Königen: Chor, Schlagzeug, Kontrabass und Cembalo füllten zum Schluss noch einmal die Kirche mit ihren fröhlichen Klängen.
Herborner Tageblatt, 23.12.2010